Erinnerungen von Zeitzeug*innen

Die Geschichten der Menschen, die während der SED-Diktatur in der Andreasstraße inhaftiert waren, und die jener Menschen, die sich dieser Diktatur während der Friedlichen Revolution entgegenstellten, machen unsere Gedenk- und Bildungsstätte zu einem Ort lebendiger Erinnerungen. Zu einem Ort, an dem sich Diktaturgeschichte neu darstellt, und zwar vor allem aus Sicht derer, die angeeckt sind. Und zu einem Ort des Austauschs und der Auseinandersetzung zwischen den Generationen.

Die Lebensgeschichten unserer Zeitzeug*innen machen deutlich, wie die SED-Diktatur die Menschen in der DDR in ihrer persönlichen Entfaltung einschränkte. Sie zeigen aber auch, welche Möglichkeiten der Selbstbehauptung und Nischen der Freiheit DDR-Bürger*innen suchten und fanden. Jede Lebensgeschichte ist anders und besonders. Aber jede Geschichte weckt auf ihre Art Empathie und Respekt und zeigt, wie wichtig eigenständiges Denken und Zivilcourage damals waren – und auch heute noch sind.

Die Zeitzeug*innen und die von ihnen gegründeten Verbände sind ein elementarer Teil unserer täglichen Erinnerungsarbeit in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, gehören sie doch zu unseren wichtigsten Wissensquellen. Wir arbeiten eng zusammen mit Freiheit e.V., der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) e.V. und der Gesellschaft für Zeitgeschichte e.V.
In den letzten Jahren haben wir ein umfangreiches Zeitzeug*innenarchiv aufgebaut, das aus persönlichen Dokumenten, Akten, Fotos und Video-Interviews besteht. Viele dieser Informationen haben wir in unsere Dauerausstellung ›HAFT | DIKTATUR | REVOLUTION‹ einfließen lassen.

Darüber hinaus arbeiten wir an einer möglichst vollständigen Übersicht aller Menschen, die im Gefängnis in der Andreasstraße während der SED-Diktatur aus politischen Gründen inhaftiert wurden. Für die 5.523 Häftlinge, die sich nach unserer Kenntnis in Stasi-Untersuchungshaft befanden, gibt es bereits eine solche Übersicht. Wir haben sie gemeinsam mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv erstellt. Für die politischen Häftlinge, die sich im Gewahrsam der Volkspolizei im Untergeschoss des Gefängnisses befanden, gibt es eine solche Übersicht noch nicht.

Unsere Gedenk- und Bildungsstätte lebt von Zeitzeug*innen und ihren Lebensgeschichten. Andere an ihren Geschichten teilhaben zu lassen und aus ihnen zu lernen, ist uns ein wichtiges Anliegen. Deshalb freuen wir uns über alle, die biografische Berührungspunkte mit der ›Andreasstraße‹ haben und uns ihre Geschichte erzählen möchten.

Wenn auch Sie Zeitzeuge oder Zeitzeugin sind, melden Sie sich gern bei uns. Wir haben immer ein offenes Ohr und sind für Sie da – auch außerhalb unserer Öffnungszeiten und, wenn es für Sie leichter ist, auch außerhalb der Mauern des ehemaligen Gefängnisses.

Ihr Ansprechpartner
Dr. Jochen Voit
voit@stiftung-ettersberg.de
T +49 (0)361 219212 – 12
M +49 (0)151 58754015

Harald Ipolt

*1959 in Gotha
Vorwurf: ›Staatsfeindliche Hetze‹ nach § 220 des Strafgesetzbuchs der DDR
Inhaftiert in der Andreasstraße von Juni bis Dezember 1978

»Meine Eltern und die Kirche waren immer mein Zuhause und mein Rückhalt. In der Kirche hatten wir Freiräume, die es im normalen DDR-Alltag so nicht gab. Dort hat uns hat nichts gefehlt. Es gab Jugendfreizeiten, einen Jugendchor, Discoabende. In der Kirche konnten wir auch immer offen sagen, was wir dachten.«

Harald Ipolt und seine drei Geschwister wachsen in der DDR in einer christlichen Familie auf. Von den Massenorganisationen der SED-Diktatur halten seine Eltern ihn fern. Als Ipolt mit 18 Jahren an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 erinnern will, muss er dafür ins Gefängnis. Der Satz, den er mit Kreide auf Gothas Straße schrieb und der ihm zum Verhängnis wurde: ›Es lebe der 17. Juni‹.

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Barbara Sengewald

*1953 in Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz
Oppositionelle in der DDR und Akteurin in der Friedlichen Revolution 1989

»Grau, perspektivlos, eingesperrt – Widerstand. Das sind die Dinge, die mir heute zur DDR einfallen. Ende der 1980er war eine immer größere Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu spüren. Via Fernsehen wanderte eigentlich die ganze DDR allabendlich aus. Das konnten andere Länder nicht. Vielleicht hat es bei uns deshalb so lange gedauert, bis es zur Revolution kam.«

Schon in jungen Jahren steht Barbara Sengewald der DDR kritisch gegenüber. Seit Ende der 1970er ist sie in der Kirche und in mehreren oppositionellen Gruppen aktiv. Dafür nimmt sie auch den Verlust ihres Arbeitsplatzes bei den Städtischen Verkehrsbetrieben in Erfurt in Kauf. Alleinerziehend und ohne staatliche Unterstützung kämpft sie fortan für sich, für ihre Tochter und für die Freiheit der DDR.

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